Sonntag, 11. Dezember 2011

Die vieltalker ARD.

Wenn ich am späten Sonntag durch den zuckenden Tatort-Abspann aufgerüttelt werde, ertönt in meinem Kopf die Stimme meiner Oma. „Die Christiansen, die kannste dir anschauen“, sagte sie einmal zu mir. Hätte sie gewusst, dass seit diesem Herbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nahezu jeden Abend politisch getalkt wird, wäre sie ungläubig mit dem Kommentar: „Und wer schaut sich das an?“ aus dem Raum gegangen.

Günter Jauch verzeichnete bei seiner ersten Sendung 5,1 Millionen Zuschauer. Anne Will, die sonntags im Durchschnitt 4 Millionen Menschen vor den Fernseher lockte, muss sich fortan mit dem weniger attraktiven Sendeplatz am Mittwochabend begnügen.
Nebst Jauch und Will tummeln sich Plasberg, Maischberger und Beckmann im Talkprogramm der ARD. Kritische Stimmen fragten bereit unmittelbar nach der Bekanntgabe des Konzepts, wie die Gästeattraktivität aufrecht erhalten werden solle. Schließlich bewandern Hans-Ulrich Jörges, Klaus Kocks oder Richard-David Precht regelmäßig die Gehwege der Talkshowrunden. Kocks gab  im Tagesspiegel just lakonisch zu, er wäre bereits so häufig in Talkshows gewesen, dass die Gäste das Gefühl bekämen,  er sei einfach sitzengeblieben. Ein Koordinationsbüro der ARD übernimmt nun die Aufgabe, für Ausgewogenheit der Gäste zu sorgen. Schließlich geht es nicht darum, intern Reibereien qua Gästeunstimmigkeiten auszulösen, nur weil die ARD Programmdirektoren eine einheitliche Sendezeit der Tagesthemen anstrebten und somit den Talkrhythmus neu zusammenwürfelten.

Sandra Maischberger sagte zu Peter Kümmel in der ZEIT, die Diskussionsrunden seien in einer Mitte angekommen. Eine Mitte, in der Inszenierung, Dramaturgie und Kalkül der Teilnehmer mehr gewichten als die eigentliche Zielsetzung des Erkenntnisgewinns für den Zuschauer.
In ihr herrscht Homogenität. Quotenfixierung. Und eine sonderbare Melange aus Phrasen, Behäbig- und interessengeleiteter Eitelkeit.
Diskussionsteilnehmer machen es den Moderatoren schwer, erquickende und spontane Momente aus den Beteiligten heraus zu kitzeln. Wenn Politiker sprechen, weiß man: Es gibt mehr Unausgesprochenes als Gesprochenes. Und wenn Gysi eingeladen wird, spürt der Zuschauer: Er ist der Hebel, der den Kauderwelsch aufbrechen soll.

Wie im Printbereich verzeichnet sich in den Shows die Tendenz, einen Titel mit Nutzwert für den Rezipienten zu generieren.  Jauch thematisiert „Generation doof“, Plasberg fragt: „Gehören Pummel an den Pranger?“, Will sinnt über „Internet-Mobbing“ und Maischberger diskutiert „Ticks, Panik, Phobien“. Je emotionaler das Thema, desto eher der Identifikationsgrad. Und desto eher die Chance, dass der Zuschauer einschaltet. Der Gefahr, dass sich die Talkshowrunden in ein homogenes Feld einbetten, eingeschlossen.

Wie sehr wünscht man sich in diesem Gewühl aus Talkshowbrei Querdenker und konstruktive Querulanten? Diskutierende Intellektuelle in einer intimen Runde. Dieses kaum greifbare Gefühl einer schöpferischen Runde.

Es stellen sich allerlei Fragen:  Verschreckt die Anzahl der Talkangebote den Zuschauer? Vermindert jene die Qualität des politischen Talks? Wie wirkt der Grundversorgungsauftrag der ARD  ein? Und welches Talkshowformat ist kompatibel mit Massenmedien?
Wenn ich nach der Theorie meiner Oma gehen würde, wäre der Sonntagabend ohne meine Beteiligung. Und doch ertappe ich mich dabei, nach dem Tatort zumindest die Vorstellung der Talkgäste abzuwarten. Denn wie sagte Goethe: „Der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht.“

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