Mittwoch, 28. März 2012

Das Wir ist der Sieger.


„Wenn ich eine Zauberkugel hätte, würde ich sie nutzen“, sagte Joschka Fischer jüngst in einer Diskussionsrunde. „Denn ich weiß nicht, wie sich die Piraten entwickeln werden.“

Die Piraten. Nach dem Wahlerfolg in Berlin ziehen sie nun ins saarländische Parlament ein. 7,6 Prozent bringen ihnen vier Sitze, das sind mehr Sitze als Grüne und FDP  zusammen vereinen können. Trotz des Wahlerfolgs für CDU und SPD, die sich bereits vor der Wahl für eine große Koalition ausgesprochen hatten, fokussiert sich der mediale Sturm auf die Piratenpartei.
Einige sprechen von einem Trend, der anhand der beiden Landtagswahlen zu erkennen sei: Die Piraten werden ebenso bei den anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ins Parlament kommen. Begründung: Sie treffen den Nerv der Zeit.

Als sich die Partei 2006 in Deutschland gründete, dachten SPD und Co nicht, dass jene (gern firmierte) Protestpartei fünf Jahre später die Politiklandschaft durcheinander rütteln würde. Heute spricht Andrea Nahles von einem Coolness-Faktor, welchen die Piraten ausstrahlen und Bildungsministerin Schavan betont: „Wir wollen verstehen (...) wie es die Piraten schaffen, Menschen zu überzeugen, die für die etablierten Parteien verloren sind.“

Deutlich wird: Die Piraten brechen die zementierte Politik, bedienen sich Lückenthemen, sie entpersonalisieren das politische Tagesgeschehen. Nicht umsonst werben sie auf Plakaten für den „Schwarmverstand.“ Sie rücken das Kollektiv in den Vordergrund und zeigen: Hier gibt es politische Diskurse- abseits von Hierarchien. Den Piraten geht es um politische Transparenz und Partizipation. Demokratie soll gelebt, mitbestimmt werden. Liquid Democracy ist hier das Stichwort.

Diese offene und basisdemokratische Kommunikation macht die Attraktivität der Piraten aus. Sie ausschließlich als Protestpartei zu verstehen, wäre falsch. Mag sie für einige Wählerschichten als Protestpartei fungieren, definiert sie sich selbst als Bürgerrechtspartei mit politisch-programmatischem Anspruch. Das spüren auch die großen und kleinen Volksparteien. Über 8000 Nicht-WählerInnen machten ihr Kreuz für die Piraten bei der Saarlandwahl, von CDU und SPD gingen knapp 7000 Stimmen an die netzaffine Partei.

Ob sich die Piraten bei der Bundestagswahl 2013  auch auf Bundesebene etablieren können, bleibt abzuwarten. Sicher ist, sie stehen jetzt schon für einen Paradigmenwechsel in der Politik. Durch ihre partizipierende Politik, ihr digitales Demokratieverständnis sowie die daraus folgende Machtverschiebung machen sie die Teilhabe am demokratischen Prozess für viele BürgerInnen schmackhaft. Das schmälern auch nicht die enge thematische Ausrichtung auf der einen und die von FDP Politiker Döring konstatierte „Tyrannei der Massen“ auf der anderen Seite.

Ob Christian Lindners Präsenz den Wählerschwund der FDP in Nordrhein-Westfalen minimieren kann?  Dazu braucht es keine Zauberkugel. Wenn die Piraten einen taktisch klugen Wahlkampf machen, dann schon. Es bleibt dabei: Zuhören und Mitdenken- und dem Projekt  „digitale Demokratie“ beim Werden zusehen.

Mittwoch, 21. März 2012

Grün wider Willen.

Vor wichtigen oder entscheidenden Wahlen ist die Stimmung parteipolitischer Anhänger zuweilen aufgeladen, energetisch oder emotional. Schließlich entscheidet sich an nur einem Tag, ob der monatelange Wahlkampf bei den Wählerinnen und Wählern Anklang gefunden hat.
Nicht selten resümieren Spitzenkandidaten dann „einen bitteren Tag“ (Steinmeier) oder sprechen „von einem großartigen Erfolg“ (Westerwelle). Der Erfolg bemisst sich an Wählerstimmen und Prozentzahlen.

Nicht selten drängen jedoch parteiinterne wie externe Quälereien abseits des Wahlkampfes in die Öffentlichkeit und werden dort mit offenen Armen aufgenommen.
Jüngst verbreitet die Spitzenkandidaten-Debatte der Grünen heiße Kohlen im Medienfeuer. Parteichefin  Claudia Roth befeuerte die Spekulationen um die Aufstellung eines Spitzenduos, in dem sie in der taz äußerte: "Ja, ich stelle mich zur Wahl, wenn es um die Besetzung eines Spitzenteams für die Grünen geht." Just danach rüffelte Trittin, dass jeder für sich wissen müsse, ob solche Personalspekulationen zum jetzigen Zeitpunkt Sinn machten. Bums – das saß.
Trittin, der für viele Grünen eine nicht wegzudenkende Säule im Spitzengefüge darstellt, weiß um die Wirkung einer öffentlich geführten Personaldebatte. Der FDP hat sie einige Wählerstimmen gekostet. Der SPD (mit der Unterstützung des Altkanzlers Schmidt) ausschließlich temporäre Publicity. Für die Grünen könnte sie den Status einer progressiven, freundlichen, modernen Partei nivellieren. Denn sie zeigt: Auch dort herrschen Machtkalküle, Taktiken und Intrigen.

Dramatisch ist zudem, dass Roth die Personaldebatte mit der Debatte über eine Frauenquote vermischt. Im taz-Interview untermauerte sie: „Die Lösung, dass ein einzelner Mann die Grünen im nächsten Bundestagswahlkampf anführt, völlig unabhängig davon, wer das dann wäre, die wird es deshalb mit mir als Parteichefin nicht geben. Die Quote gehört sozusagen zum grünen Grundgesetz.“
Die Spitzenkandidatur als Spitzenduo also. Postuliert in der linken taz. Wäre man böse, würde man Claudia Roth unterstellen, sie würde ihre personale Beliebtheit ausnutzen, um sich als Spitzenkandidatin (gerade im Hinblick auf eine basisdemokratische Wahl) aufstellen zu lassen. Denn weder Künast noch Löhrmann werden als bundespolitische Spitzen gehandelt. Die von Roth betonte Quotenregelung ist also ein für die Parteichefin wohlschmeckender Schmankerl. Schließlich, so munkelt man, könnte die kommende Bundestagswahl 2013 vielleicht die letzte sein, bei der Roth als Spitzenkandidatin antreten würde.

Die Grünen wollen ihre stilisierte Rolle als gesellschaftliche Vorreiterpartei stärken. Während Trittin als Spitzenkandidat gesetzt ist, bleibt nun die Frage, welche Frau beste Chancen hat, die Spitzenkandidatur nebst Trittin  anzutreten.  Eine breit geführte öffentliche Debatte hinsichtlich grüner Personalpolitik anzustoßen, wäre fatal. Nicht zuletzt deshalb, weil die allseits debattierte Quote auch nach Hinten losgehen kann: Wenn sich die Basis für Trittin als Spitzenkandidaten ausspräche, gemäß seiner Kompetenzen und Qualitäten, wäre die Quotenregelung überflüssig.
Denn schließlich würde dann eintreten, was Politiker samt Entourage doch eigentlich wollen:  Eine Debatte um Kompetenzen, nicht um Geschlechter. Wenn die Grünen das merken, wären sie vielleicht alsbald post-gender. Wie die Piraten.

Donnerstag, 8. März 2012

Der Zauberer von Berlin.

Der große Zapfenstreich naht. Trompeten und Worte im Garten des Schlosses Bellevue. Schröder lauschte Sinatras „My Way“, Guttenberg zelebrierte seinen Abschied zu rockigen Deep Purple Klängen und Wulff, ja Wulff wünscht sich „Over the Rainbow“ – ein schläfrig schönes Lied, das zwischen paradiesischer Lautmalerei und gemäßigtem Tonus ein Moment des Träumens ermöglicht.

Wulffs Traumblase ist gefüllt mit Schlagzeilen. Hannelore Kraft und Frank-Walter Steinmeier rieten ihm auf den Zapfenstreich zu verzichten. Rund 160 Gäste haben ihre Teilnahme an dem Zapfenstreich abgesagt. Darunter zahlreiche Altbundespräsidenten sowie der designierte Bundespräsident Joachim Gauck. Mehr als die Hälfte des Parlamentes hat ihre Abwesenheit angekündigt. Wulffs Abschied wird in kleiner Runde stattfinden, es hat sich eine innenpolitische Allianz gegen den Ex-Bundespräsidenten eingeschworen.

Wulffs Zauber ist verflogen. Dem anfänglich in den Medien gehypten Glamour-Präsidentenpaar bleibt nebst umstrittenem Ehrensold ein Verfahren der Vorteilsannahme. Im politischen Gedächtnis ruht die Erinnerung, die Pressefreiheit massiv angekratzt haben zu wollen. Und sich selbst in seiner Abschiedsrede als tatkräftiger Präsident ohne Reue dargestellt zu haben.

Auf der Plattform Facebook mehren sich Stimmen, den Zapfenstreich zu stören. Aktivisten wollen die Zeremonie mit Vuvuzela-Klängen beeinträchtigen. Das muss nicht sein. Der feierliche Abschied als Hupkonzert und Vuvuzela-Protest?
Besser ein konstruktiver Diskurs über Ehrensold-Bestimmungen und politische Transparenz. Dann können politische Verantwortliche auch wieder träumen. Und zaubern.