Donnerstag, 3. Mai 2012

Lieber grün und etabliert.

Ich bin Neumitglied der Grünen. Nicht der Piraten. Als junger Mensch mag das für viele verwunderlich klingen. Denn oft höre ich, dass die Piraten eine verführerische Alternative zu „etablierten“ Parteien darstellen. Ich finde das nicht unbedingt.
 
In den späten 70er und frühen 80er Jahren haben die Grünen  sozialen Wandel und damit einhergehend die Veränderung des gesellschaftlichen Wertebewusstseins vorangetrieben. Sie platzierten sich als Alternative im etablierten Parteiengefüge und förderten somit parteipolitischen Pluralismus. Sie taten damit unweigerlich das, was viele heute den Piraten zuschreiben: Frischen Wind in zementierte Politik bringen.
 
Im Gegensatz  jedoch zu Grünen Anfangszeiten straucheln die Piraten thematisch auf zwei Weisen.
Dies liegt nicht an der groben politischen Richtung: Von ihrer netzpolitischen Agenda zum Thema Urheberrecht abgesehen, situieren sie sich mit wählerwirksamen Aussagen zum öffentlichen Nahverkehr und bildungsstrukturellen Veränderungen im linken Flügel.
 
 Problematisch ist die Tatsache, dass die Parteiprogrammatik thematische Leerräume bildet. Leerräume, die aufgrund struktureller Besonderheiten und fehlender Erfahrung und Kenntnissen  entstehen und sich von Erwartungen und Illusionen vieler Politikfrustrierter sämtlicher Schichten nähren. Evidenzen sind hier die Wahlergebnisse in Berlin und Saarland. In beiden Wahlkämpfen fehlten fundierte Wahlprogramme. Der Einzug ins Landesparlament gelang trotzdem.
 
 Dass gerade aber diese Leerräume erheblichen Anteil an einer Zunahme politikverdrossener Bürger haben könnten, bleibt oft unerwähnt.
Denn trotz der Innovationskraft, welche die Piraten freilich innehaben, werden sie grundsätzliche Mechanismen des Politikbetriebes nicht über Bord werfen können. Vielmehr bedarf es Zeit sich an den konfliktbeladenen und konsensabhängigen Politikbetrieb zu gewöhnen. Dass für die Piraten hier strukturell Reformen notwendig sind, beweist ihr Verschleiß an Spitzenkräften.
 
 Problematisch ist zudem: Die Piraten werden ihrer symbolischen Ausstrahlungskraft personell nicht gerecht. Dies liegt nicht an fehlenden Kompetenzen, sondern fußt auf dem basisdemokratischen Prinzip der Partei: Erst kollektiv diskutieren, dann öffentlich proklamieren.
Doch gerade im Wahlkampf stockt der so notwendige Wählerdialog.
Was sollen potentielle Wähler denken, wenn drei von vier Fragen mit der Antwort abgespeist werden: „Dazu kann ich noch nichts sagen.“ Für eine Partei, die sich gute Chancen auf einen Einzug in den Bundestag 2013 machen kann, ist das zu wenig.

Die Grünen sind etabliert. Sie verfügen über Delegierte, ein ausgereiften Parteiprogramm und erfahrene Spitzenkräfte. Die Piraten nicht.
Sie befinden sich im Werden. In Zukunft wird ihr Parteigesicht geschärft und aus thematischen Leerräumen, die gefüllt sind mit einer Vielzahl an Erwartungen, bildet sich ihr politisches Profil. Bis dahin bleibe ich eine Grüne. Und vielleicht darüber hinaus.